S-E-A Expedition – Auf Shakletons Spuren
Tina Uebel
09. Februar 2016
Die Reise der S.E.A.-Expedition 2015/12016
Mit Segelboot und Ski auf Shackletons Spuren
Die Expedition „S.E.A. – Sir Ernest’s Anniversary“, die anläßlich des hundertjährigen Jubiläums der Endurance“-Expedition den Weg des legendären Polarforschers Ernest Shackleton nach dem Untergang seines Schiffes in der antarktischen Weddell Sea nachvollzog, ist nach 30 Tagen wohlbehalten in den Auslaufhafen Port Stanley auf den Falklandinseln zurückgekehrt.
Das zwölfköpfige multinationale Team, bestehend aus Seglern und Alpinisten, hat alle Expeditionsziele erreicht.
Am 5. Dezember 2015 kommt das komplette Team auf den Falklands zusammen – die „Santa Maria Australis“ mit Kapitän Wolf Kloss und Crew Beate Löcker und Daniel Holleis war einige Tage, Markus Gujan, Adrian Räz, Andrea Badrutt, Manfred Walter, Ray Timm und Jaap Oosterveld eine Woche zuvor eingetroffen.
Was mit den letzten Teammitgliedern Niko Hansen, Viktor Niemann und Tina Uebel nicht eintrifft, ist ein großer Seesack mit relevantem Expeditionsequipment, den die Airline – die die Falklands nur einmal wöchentlich anfliegt – verloren hat. Wenig davon läßt sich in Port Stanley adäquat ersetzen, wir sind also gezwungen zu leihen, zu verzichten, zu improvisieren.
Am 7. Dezember stechen wir in See, mit Ziel Elephant Island – die unwirtliche antarktische Insel, die Shackletons Männer nach dem Untergang der „Endurance“ und monatelanger Drift auf dem Packeis 1916 erreichten. Für die 560 Seemeilen durch die Drake Passage, das berüchtigste Stück Ozean der Welt, versuchen wir, ein Fenster zwischen zwei Stürmen zu nutzen.
Es wird schon nach 24 Stunden ein Wettlauf mit dem nächsten aufziehenden Sturm, der uns keinesfalls auf oder auch nur in der Nähe der Burdwood Bank erwischen darf: Dort erhebt sich der Meeresgrund jäh von 4.000 Metern Tiefe auf nur 100 Meter, was bedeutet, daß sich die großen Wogen des Südlichen Ozeans, die in Stürmen leicht 20, 30 Meter Höhe erreichen, stauchen und zu gewaltigen Wasserwänden aufbauen.
Die Umsegelung der Burdwood Bank würde uns mehrere Tage kosten und bedeuten, daß wir die verlorene Höhe gegen die herrschenden Westwinde wieder gutmachen müßten. Letztlich gewinnen wir das Rennen; als der Sturm kommt, haben wir ausreichend Abstand zu der Bank gewonnen.
Der Sturm steigert sich zu Orkanstärke, wir erreichen Elephant Island bei 12 Windstärken, Blizzard und Böen von 75 Knoten, 140 km/h, am 11. Dezember. Beim dritten Versuch gelingt es uns, in – wie wir annehmen, die Sicht ist nahezu Null und die Seekarten sind bemerkenswert ungenau – der berühmten Bucht bei Cape Wild zu ankern, wo Shackletons Männer vier Monate zu überwintern gezwungen waren, während sie auf eine Rettungsmission durch Shackleton selbst warteten, der mit fünf seiner Männer von hier im Beiboot „James Caird“ nach Südgeorgien aufbrach, um Hilfe zu holen.
Wir gehen Ankerwache in einer sturmgepeitschten Nacht, am nächsten Tag bringen wir unter Schwierigkeiten das Dinghi aus und setzen zum Strand über. Den ersten Landgang müssen wir wegen des Sturmes verfrüht abbrechen, am Nachmittag beruhigt sich das Wetter ein bißchen.
Wir betreten mit nicht weniger als Andacht den „quasi heiligen Boden“, wie es einer von uns ausdrückt. Ein brutaleres Wetter als der gestrige Orkan ist kaum vorstellbar – und nichtsdestoweniger war dies immer noch ein Sommersturm. Die Winterbedingungen hier – und wie man in ihnen mit zerschlissener Kleidung, kaum Nahrung oder Ausrüstung, unter zwei kleinen umgedrehten Booten überleben kann – übersteigen unsere Vorstellungen.
Am Folgetag, in immer noch Sturm, lichten wir Anker mit Kurs auf Südgeorgien: Die berühmten 700 Seemeilen, die die „James Caird“ in 16 Tagen zurücklegte, eine unglaubliche nautische Leistung und ein Beweis des unfaßlichen, zähen Überlebenswillens des Menschens.
Am frühen Morgen des 18. Dezember erreichen wir die King Haakon Bay, mit einem perfekten Wetterfenster. Wir beginnen umgehend, das Equipment für die Süd geor gien-Traverse mit dem Dinghi an Land zu bringen, und errichten nahe des Ufers unser erstes Camp. Abends noch bringt das Traverse-Team – Expeditionsleiter Markus, sein Bergführerkollege Adrian, sowie Andrea, Wolf, Ray, Tina und Manfred – Teile der Ausrüstung zu den Schneefeldern am Ende der Bucht, von wo mutmaßlich ein Weg auf den ersten Gletscher hin aufführt.
Wir werden der Route von Shackleton, Worsley und Crean über die Berge und Gletscher des Inselinneren folgen, die die Männer – um Rettung bei den Walfangstationen an der Ostküste zu suchen – in einem 36-Stunden-Gewaltmarsch bewältigen mußten. Damals war die Insel gänzlich unkartiert, auch heute ist das Kartenmaterial karg und mehr als vage. Wir brechen am nächsten Morgen früh auf, Markus und Adrian hoffen, mit einem langen Tag heute noch die Schlüsselstelle zu überwinden, einen steilen Abstieg bei den vier Pässen unterhalb der Tridents.
Wir schaffen es nicht ganz. Nach Aufstieg über den ersten Gletscher, durch den Shackleton Gap, der anschließenden Überquerung des Murray Snowfields und dem Anstieg zu den Pässen, erreichen wir letztere erst gegen 17:30 Uhr und errichten unser Camp ein Stück darunter, im Windschutz einer Felsspitze. Wir müssen unsere Pulkas mit Seilen ziehen, denn die Zuggestänge befanden sich in dem verlorenen Gepäckstück – was Abfahrten und Traversen an steileren Hängen erschwert und uns dementsprechend verlangsamt.
Aber mit dem Wetter haben wir Glück: Es ist, für diese Breiten, nahezu windstill, der Himmel ist bedeckt, wir haben eine feste Schneedecke und fast keine Spalten. Nach dem Abendessen erkunden Markus und Adrian die beiden in Frage kommenden Pässe und entscheiden sich für den, den auch Shackleton damals nahm.
Wir warten am nächsten Morgen bis 9 Uhr, in der Hoffnung, daß die vereisten Hänge ein wenig antauen. Mit einem Seilzug hieven wir die Pulkas auf den Paß, auf der anderen Seite müssen sie abgeseilt werden. Unsere drei Seile ergeben zusammen 160 Meter, dreimal seilen wir ab am ca. 40° steilen Hang, es dauert insgesamt vier Stunden, bis wir unten auf dem Crean-Gletscher stehen. Dort seilen wir uns an – wie wir von oben sahen, werden Spalten jetzt ein Faktor.
Abends errichten wir unser Camp auf dem Crean-Gletscher, tief in den Schnee gegraben wegen des aufkommenden Windes. Der nächste Tag beginnt sonnig, im Laufe des Vormittages zieht es zu und Schneetreiben setzt ein, wir gehen mehrere Stunden in nahezu White-out.
Nach dem Übergang zur Fortuna Bay bessert sich das Wetter, wir können einen Abstieg über den Fortuna Gletscher bei Abendsonne suchen. Nachdem wir unser letztes Camp nahe des Strandes errichtet haben, trifft die „Santa Maria Australis“ ein und ankert in der Bucht – sie wird morgen bereits die Zelte, Pulkas und Ski, die wir ab hier nicht mehr brauchen, an Bord nehmen.
Auf dem letzten Stück der Shackleton-Traverse, einem Paß über die Berge auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht, begleiten uns Niko, Jaap und Viktor. Wir suchen uns den Weg durch immer dichteren Nebel und werden nachmittags bei der verlassenen Walfangstation Stromness von der „Santa Maria Australis“ wieder an Bord genommen.
Heiligabend feiern wir in Grytviken, bei, unter anderem, einem ausgelassenen gemeinsamen „Weihnachtsliedersingen“ und Glühwein-Beisammensein mit dem Personal der Station King Edward Point und der Besatzung des Fischereischutzschiffes „Pharos“ in der historischen Holzkirche.
Am nächsten Tag setzt das Boot sechs von uns, Markus, Adrian, Wolf, Ray, Tina und Manfred, am Nordenskjöld-Gletscher in der Cumberland East Bay ab, von wo wir eine viertägige Exkursion in die Allardyce Range planen, während der Rest des Teams weiter die Küsten erkundet.
Der Nordenskjöld-Gletscher ist aper und nicht begehbar, wir verbringen den ersten Tag damit, einen Weg über die Seitenmoräne zu suchen, und errichten schließlich ein Basecamp hoch über dem Gletscher. Von dort brechen wir die nächsten Tage über Seitengletscher zu drei Besteigungen von kleineren Vorgipfeln unterhalb des Mount Paget auf.
Auf der Karte sind die Gipfel weder einsichtig definiert, noch mit Namen gekennzeichnet. Möglicherweise sind es Erstbesteigungen. Am Abend des 28. Dezember Rendezvous mit der „Santa Maria Australis“ unten in der Bucht, wegen treibenden Eises gestaltet sich die Übernahme des Teams und Equipments vom Strand schwierig.
Zwei weitere Tage verbringen wir, langsam nordwärts segelnd, entlang der südgeorgischen Küste, mit einem Ausflug zur großen Königspinguin-Kolonie in Salisbury Plain, mittags am 31. Dezember brechen wir zur Rückfahrt zu den Falklands auf, um ein weiteres Wetterfenster zu nutzen. Nach einem für den Southern Ocean vergleichsweise ruhigen Törn kehren wir am 5. Januar, ShackletonsTodestag, nach Port Stanley zurück – mit dem beglückenden Gefühl, alle unsere Expeditionsziele verwirklicht zu haben.
+++ Das Buch über die Expedition erscheint im September 2016 im Malik Verlag +++