Wie wir lernten, wild zu campen.
Sophia Peters & Helmut Poppen
25. April 2017
Unsere Campingerfahrungen haben sich vor unserer Reise auf ein paar Ausflüge beschränkt, die wir als Jugendliche mit Freunden gemacht haben. Ein verlängertes Wochenende an der Ostsee oder auf der Matschwiese eines Festivals, das Zelt geliehen von irgendeinem Kumpel oder Onkel. Heute ist unser Zelt schon seit 1 1/5 Jahren unser primäres Zuhause. Natürlich gehen wir mal in ein Hotel oder bevorzugen die Hängematten in heißen Nächten, aber unser Zelt bleibt das wichtigste Equipment für die Reise durch die Welt, zumindest auf dem Fahrrad. Die Unabhängigkeit von Wetter, touristischer Infrastruktur oder Gutmütigkeit fremder Menschen, bietet uns die Freiheit, nach der wir gesucht haben und ermöglicht uns von ausgetretenen Pfaden abzuweichen.
Unsere Reise begann in Deutschland und wir waren am Anfang noch ganz unsicher, was das Wildcampen anging. Trotz langen Suchens, haben wir es fast nie geschafft uns zu verstecken. Überall wo ein Weg hinführt, sind auch Menschen. Im Endeffekt sind wir oft an Rastplätzen von Wander- oder Radwegen gelandet und haben unser Zelt erst zum Einbruch der Dunkelheit aufgebaut. Wohl wissend, dass wir zwar am Morgen vermutlich entdeckt werden, aber bis dahin haben wir dann ja unseren Schlaf schon verrichtet. Tatsächlich kam fast immer jemand vorbei und meistens haben wir ein Lächeln geschenkt bekommen, wurden wir für unseren schönen Schlafplatz beglückwünscht oder mit einem netten Gespräch zum Frühstück unterhalten.
Trotz der guten Erfahrungen waren die Nächte aber nicht immer ruhig. Es ist verrückt, wie sich jedes Geräusch mit dem Schließen der Zelttür vervielfacht. Am Anfang haben wir uns oft erschrocken und die Ohren bei jedem Geraschel gespitzt. Aber dann ist es meistens doch nur die Mülltüte im Wind und kein wilder Wolf am Zelteingang. Mittlerweile haben wir uns so gut daran gewöhnt, dass es uns dann sogar passiert, dass über Nacht ein kleine Maus ins Vorzelt zieht und ihre Nüsse in unseren Taschen stapelt, während wir uns nichts bei dem Getümmel denken. Trotzdem bevorzugen wir es, an einem Bach zu Schlafen. Nicht nur weil man sich waschen kann und Trinkwasser parat hat, sondern weil das monotone Rauschen sämtliche Geräusche abdämpft und wunderbar beim Einschlafen hilft.
Das man dort aber nicht zwangsläufig alleine ist mussten wir eines Abends in Tschechien feststellen. Während wir Abends vor dem Zelt sitzen und uns über ein Meer von Glühwürmchen freuen, hören wir plötzlich Geräusche aus dem angrenzenden Wald. Nach der anfänglichen Freude darüber, dass es sich anfühlt als ob wir inmitten der Wildnis sind, werden die Rufe immer lauter und kommen von zwei Seiten immer näher. Mit einem mal wird uns bewusst, dass es sich um Wildschweine handelt. Innerhalb von Sekunden liegen wir mit Messer, Pfefferspray und Trillerpfeife bewaffnet im Zelt und können das Herz des anderen Rasen hören. Geschlagene 30 Minuten liegen wir absolut regungslos da und warten, dass unser Adrenalinspiegel wieder sinkt. Dann meldet sich unsere Blase und schwer bewaffnete den jeweils anderen schützend begeben wir uns nach draußen. Natürlich ist nichts passiert und wider Erwarten, hatten wir trotzdem eine erholsame Nacht. Doch waren wir selten so froh eine (hoffentlich) stabile Zeltwand zwischen uns und der Umgebung haben.
Es hat eine ganze Weile gedauert, bis wir uns keine Sorgen mehr ums Wildcampen gemacht haben. In jedem neuen Land, haben wir als erstes in Erfahrung gebracht, wie die Regelungen dazu sind. Als wir dann in Serbien ausgelacht wurden, nachdem wir unsere Warmshowers Gastgeber befragt haben, wurden wir entspannter.
Eine solche Frage kann nur von einem Deutschen kommen!
Das war tatsächlich das letzte Mal, dass wir gefragt haben.
Über die Zeit haben wir uns zwei Regeln gesetzt, die wir beim Wildcampen mehr oder weniger beachten:
1. Vertraue deinem Gefühl.
2. Verstecke dich so gut wie möglich oder Campe so, dass dich jeder sehen kann.
Das mit dem Gefühl ist schwer zu beschreiben, aber manchmal kommt man an einen Ort, der von der Begebenheit super scheint, sich aber doch falsch anfühlt. In solchen Fällen bleiben wir eigentlich nie. Wenn wir mal weniger gute Erlebnisse auf unserer Reise hatten - die lassen sich an einer Hand abzählen - hatten wir beide bereits vorher ein ungutes Gefühl. Die Zweite Regel ist ziemlich selbsterklärend. Entweder sieht einen keiner oder jeder und hat man den Schutz der Nachbarschaft. Ein paar mal haben wir schon am Dorfstrand geschlafen, ein anderes Mal vor dem Dorfladen. Besonders in Ländern wo es überall öffentliche Toiletten bzw. Plumpsklos gibt, bietet sich das natürlich an. Das ein oder andere Mal haben wir auch im Kneipen- oder Restaurantgarten geschlafen, da profitieren dann gleich alle: Wir haben einen Schlafplatz und die Kneipe verkauft mehr Bier. So richtig schön wurde es dann aber erst in Vorder- und Zentralasien. Egal wo man hinkommt, es gibt immer Lagerfeuerplätze, die wir besonders in den kalten Monaten gern genutzt haben. In Armenien kamen dann noch die Picknickplätze hinzu: ein überdachter Tisch, neben einem Brunnen und einer Lagerfeuerstelle. Manchmal gab es sogar einen Stangenofen zum Kochen. Wegen der Brunnen muss man zwar häufig mit Besuch rechnen, aber das einzige gefährliche daran, ist der ständige Vodka der einem gereicht wird, während die Wasserflaschen volllaufen. Im Iran war dann alles ganz anders. Die Iraner sind, mal abgesehen von den Nomaden, wohl die größte Campingnation die es gibt. Bei einem durchschnittlichen iranischen Familienurlaub wird der Pick-up mit Zelten, Shishas, Hockern, kleinen Holzöfen zum Kochen, Kissen, etc. beladen und dann gehts los. In jedem Park - und davon gibt es sehr viele - darf gecampt werden und vielmals auch an Stränden. Das ganze ist kostenlos und mit Toilettenhäusern. Neben all den Annehmlichkeiten und Mahlzeiten, die die Familien dabei haben, wird auf ein, uns sonst so wichtigen, Komfort verzichtet: die Isomatte. Eine einfache Tagesdecke reicht vollkommen aus und das selbststehende Zelt wird, zu unserer Überraschung, auf den Betonboden statt auf den weichen Rasen gestellt. Ein Zelt, neben einem schönen Park, am Rande einer gut besuchten Tankstelle, ist kein seltener Anblick gewesen. Nach all der Gesellschaft, haben wir uns schon auf einsame Nächte in der Natur gefreut und davon hatten wir später, in Zentralasien, sehr viele. Unter den Nomaden wurden wir noch selbstbewusster denn je, denn wer soll sich hier schon daran stören, dass wir im Zelt schlafen? Manchmal, wenn wir dann doch mal besucht bekommen haben, erklärten wir, dass wir auch Nomaden sind, was sofort für Gelächter, aber auch für eine Art Brüderschaft, gesorgt hat. In all der Abgeschiedenheit gab es kaum längere Schlafplatzsuchen und das einzige Kriterium bei all der Auswahl war es, einen windgeschützten Platz zu finden. Wenn man dann noch das Glück hat, dass Zelt so zwischen den Bergen so zu platzieren, dass die Morgensonne einen direkt wärmt und der Fluss nicht zu weit entfernt ist, ist das besser als ein 5-Sterne-Hotelzimmer. Denn wie sagt man so schön:
You can't buy happiness but you can buy a tent (and a bicycle).